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Geschäftsbericht 2019

Kontakt

Alexander Oberdieck
Bildungsreferent
Email: oberdieck@arbeitundleben.nrw
Telefon: 0211 - 938 00 21
Mobil: 0171-558 9001
Fax: 0211 - 938 00 29

Der Geschäftsbericht 2019 bietet wie gewohnt einen Überblick aller Aktivitäten von Arbeit und Leben NRW. Themenschwerpunkt des Geschäftsberichts 2019 sind unsere Aktivitäten zum 70. Jubiläum. Wir sind mit der Aktion #IchwaehleEuropa rund um den 1. Mai mit Menschen ins Gespräch gekommen und haben bei verschiedenen Anlässen die Haltung von politischer Bildung und vermeintliche Neutralitätsgebote thematisiert. Unsere Jubiläumsfeier hat Beispiele für gelebte Solidarität und engagierte Mitbestimmung eine Bühne gegeben.

Statement Regina Schumacher-Goldner

Im letzten Jahr durften wir einen großen Geburtstag feiern: 100 Jahre Volkshochschulen. Schon die Weimarer Republik hatte den Anspruch, allen Menschen eine Stimme zu geben und sie durch Bildung in öffentlicher Verantwortung dabei zu unterstützen, für ihre Interessen einzutreten. Mit ihrer Verfassung wurden die Volkshochschulen formell begründet. Zum Selbstverständnis der Volkshochschulen als „Töchter der Demokratie“ gehörte es bereits damals, abstrakte Bildungsbegriffe in die Lebenswirklichkeit der Bürger*innen zu übersetzen.

Auf die junge, fragile Demokratie der Weimarer Republik folgte der Nationalsozialismus mit dem zweiten Weltkrieg. Seine Auswirkungen waren ausschlaggebend für die Gründung von Arbeit und Leben NRW im Jahr 1949. Die Alliierten erkannten die Systemrelevanz des Erwachsenenbildungswesens und forderten im Sinne der Re-Education die Kommunen zur Wiedereinrichtung von Volkshochschulen auf. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Volkshochschulen schlossen sich damals zu ihrer Bildungskooperation zusammen, um das Fundament für eine neue Demokratie zu stärken. Dazu brauchte es Menschen, die sich für Bildung und Demokratie einsetzten und das neue Zusammengehen konzeptionell und mit Leben erfüllten. Nach zwölf Jahren NS-Diktatur waren solche Persönlichkeiten deutlich in der Minderheit.

Der Ansatz des DGB und der VHS war deshalb so einfach wie einleuchtend: Die Volkshochschulen standen für den breiten Zugang zu Bildung und die Gewerkschaften für das Organisieren von Interessen der Arbeiter*innen. Gemeinsam wollten sie den Zugang zu Bildung im Sinne der Interessen von Arbeiter*innen organisieren und so die junge Demokratie in ihrer Entwicklung stärken. Seit dieser Zeit hat sich vieles verändert, aber der Gründungsgedanke von Arbeit und Leben NRW ist heute so aktuell wie damals.

Eine noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehaltene Akzeptanz von rechtem, undemokratischem und rassistischem Gedankengut und daraus resultierenden mörderischen Anschlägen stellt unsere offene Gesellschaft vor eine Bewährungsprobe. Demokratie muss man lernen – und verteidigen. Damit kommt der Politischen Bildung nicht nur eine wichtige Rolle zu, sie ist im grundlegenden Sinne systemrelevant für unsere demokratische Verfasstheit. Sie öffnet Räume für Diskurs und zur Auseinandersetzung mit Gegenwart und Zukunft, kontrovers, aber innerhalb eines klaren Wertegerüsts.
 

Gewerkschaften und Volkshochschulen sind wichtige Akteure im gesellschaftlichen Diskurs und Politische Bildung hat dort ihren unverzichtbaren Stellenwert. Aber die Auswirkungen neoliberaler Paradigmen, Strukturänderungen und der zahlenmäßige Rückgang von Mitgliedern und Teilnehmenden stellen uns vor lokale, regionale und globale Herausforderungen.
Der hochaktuelle Auftrag von Arbeit und Leben NRW /DGB und VHS ist klar vor unserer gemeinsamen Geschichte zu sehen: gemeinsam Politische Bildung flächendeckend zu verankern und weiterzuentwickeln, um die Zukunft unserer Gesellschaft menschenwürdig und nachhaltig zu gestalten.

 

Statement Thomas Krüger

Politische Bildung zwischen Tradition und Innovation

Das Verhältnis von Tradition und Innovation war für die politische Bildung schon immer eine Herausforderung. Die Geschichte der gegenwärtigen politischen Bildung beginnt mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1949. Die im selben Jahr eingerichtete Institution „Arbeit und Leben“ gehört damit zu einer der ersten Akteure in der inzwischen mehr als 70-jährigen Geschichte. In dieser Zeit ist viel passiert. In Deutschland und auf der Welt sind immer wieder Konflikte, aber auch neue Verbindungen entstanden. Insbesondere die vor 30 Jahren mit dem Mauerfall einhergehende deutsche Einheit kann hier als prägendes Beispiel genannt werden. Sie zeigt beispielhaft, dass mit einem Wandel immer schon sowohl Herausforderungen als auch Chancen verbunden waren.

Auch wenn das Grundgesetz noch immer die Leitplanke unserer Arbeit und des politischen Diskurses ist, hat sich die Lebenswelt der Bürgerinnen und Bürger in den letzten 70 Jahren grundlegend verändert. Sie ist diverser geworden und neue Themen treten mit zunehmender Geschwindigkeit in den Vordergrund. Gerade in einer Gesellschaft, die sich immer stärker pluralisiert und durch technologische, ökonomische und kulturelle Transformationen singularisiert, gewinnt die politische Bildung an Bedeutung. Gleichzeitig steht sie vor großen Herausforderungen, wie dem Aufkommen rechtspopulistischer Ideen und zunehmend offen vorgetragenen menschenfeindlichen und revisionistischen Einstellungen. Sie kann dabei nicht alles erfüllen, was von ihr erwartet wird, und sie kann schon gar nicht mit schnellen Maßnahmen Abhilfe schaffen. So hat politische Bildung nie funktioniert.

Besonders in Zeiten der Transformation und des Wandels ist es entscheidend, Altbewährtes nicht zu vergessen und sich der Tradition sowie dem Entstehungskontext politischer Bildung bewusst zu sein. Schließlich erfüllt sie eine verantwortungsvolle Aufgabe. Jedoch kann politische Bildung dieser nicht nachkommen, wenn sie Veränderungsprozessen und Innovationen hinterhereilt. Wir sollten den Blick nach vorne richten: Wir müssen selbst zur Innovation beitragen und unsere Arbeit weiterentwickeln.
Sich dem Wandel bewusst zu sein, kann bedeuten, näher an der Lebenswelt unterschiedlicher Zielgruppen anzusetzen und diese durch Veränderungen hinweg zu unterstützen. Politische Bildung kann Wege und Instrumente der Teilhabe aufzeigen und erklären, wie diese für Einzelne und die Gesellschaft nutzbar sind. Wandel sollte als Chance gesehen werden, neue Wege zu finden, um unterschiedliche Personengruppen in unterschiedlichen Lebensphasen, -situationen und Orten zu erreichen – egal ob in einfacher Sprache, im Livestream, über Social-Media-Kanäle oder durch „Influencer“. Wir als Bildungsinstitutionen müssen daran mitarbeiten, allen Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu validen Informationen zu verschaffen und Entscheidungsprozesse aufzuzeigen, um gemeinsam streiten und demokratische Kräfte freisetzen zu können. Statten wir sie daher mit dem entsprechenden Werkzeug aus.  

 

Statement Gabriele Hammelrath

1949 - 2019  =  70 Jahre „Arbeit und Leben“

„Arbeit und Leben“, die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Volkshochschulen
zur Weiterbildung von Erwachsenen ist in meinem Leben und Arbeiten sei vielen Jahren ein fester Bestandteil – ja, eine Selbstverständlichkeit.

Dieses Jubiläum und der Artikel, den ich dazu schreibe(n soll), zwingt mich dazu, genauer hinzuschauen, was das war und bis heute ist, diese besondere Partnerschaft. Und es wird mir klar, dass ich keine „abgeklärte“ politische Bewertung oder fachliche Einschätzung geben kann und will, sondern dass mich dieses Thema ganz persönlich betrifft und berührt.

Der Anfang von „Arbeit und Leben“ liegt in einer Zeit der Erschütterung und des Umbruchs. Die Menschen hatten die Gräuel des Faschismus, des Holocausts und eines zerstörerischen Krieges erlebt. Sie mussten die damit verbundenen Erfahrungen und Verluste verarbeiten. Und die Nachkriegszeit war geprägt vom Kampf gegen Hunger und Not in den zerbombten Städten oder dem heruntergewirtschaftetem Land.

Und in dieser Zeit des reinen Überlebens gab es Menschen in Gewerkschaften und Volkshochschulen, die den Mut und die Kraft hatten, nach vorne zu blicken und auf die Menschen und ihre Lernfähigkeit zu vertrauen. Die eine Vision eines demokratischen Deutschlands hatten und bereit waren, dafür zu arbeiten und zu kämpfen. Eine Haltung und ein Engagement, die mich mit großer Hochachtung erfüllen.

Warum nun waren es Menschen in den Volkshochschulen und Gewerkschaften, die diesen anspruchsvollen Schritt in und für die Zukunft wagten.
Beide Organisationen entstanden in krisenhaften Situationen; Gewerkschaften aus der Not der Arbeiterinnen und Arbeiter in der industrialisierten Welt und Volkshochschulen in den Umbrüchen nach dem 1. Weltkrieg. Beides sind Bewegungen – das heißt, sie sind nicht die Erfindung von Einzelnen, sondern entsprechen dem Bedürfnissen von Vielen nach Veränderung, nach Freiheit und Solidarität. Und beide sind der Aufklärung und der Demokratie verpflichtet, sowohl in ihren Themen als auch in ihren Organisationen.

Und all das wirkt bis heute und hoffentlich für viele produktive Jahre. Denn die Notwendigkeit für ihre gemeinsame Arbeit ist groß. Globalisierung, Digitalisierung und Individualisierung verunsichern viele Menschen – die Spanne zwischen Arm und Reich wird größer und der gesellschaftliche Zusammenhalt fragiler. Distanz zur Demokratie und ihren Institutionen und
ein zunehmender Rechtspopulismus und -extremismus sind Folgen.

Also ernste Themen, die einer ernsthaften und intensiven Bearbeitung bedürfen. Und das leistet Arbeit und Leben in seiner vielfältigen Bildungsarbeit – nah bei den Menschen und ihren Interessen, ihren Bedarfen und ihren Bedürfnissen.

Wenn wir also diese 70 Jahre betrachten, die hart erarbeiteten Erfolge, aber auch die schwierigen Aufgaben unserer Zeit, könnte sich Müdigkeit oder schlimmstenfalls Resignation einstellen. Und die Realität: das genaue Gegenteil! Mit immer neuen Ideen und Inhalten der politischen Bildung mischt sich „Arbeit und Leben“ ein und unterstützt Menschen bei der Formulierung und Durchsetzung ihrer Interessen. Für die Arbeitswelt und für die Lebenslust!

 

Statement Reiner Hoffmann

Die westlichen Demokratien stehen unter Hochspannung. Autoritäre, nationalistische Rechtspopu-listen verzeichnen deutlichen Zulauf bei den Wahlen. Auch in Deutschland. Im Bundestag und in sämtlichen Landtagen erleben wir eine tektonische Verschiebung unseres Parteiensystems. Mit der AfD sitzt nun eine Partei in den Parlamenten, die offen nationalradikal, rassistisch und arbeit-nehmerfeindlich ist. Wir erleben eine tiefe Krise politischer Repräsentanz.
Diese Krise berührt auch den Gründungsimpuls von Arbeit und Leben. Gewerkschaften und Volks-hochschulen, die einen durch den Nationalsozialismus brutal zerschlagen, die anderen im „Dritten Reich“ früh gleichgeschaltet und ihrer republikanischen Trägergruppen beraubt, haben vor mehr als 70 Jahren Arbeit und Leben als gemeinsam getragene Organisation der politischen Bildung gegrün-det.
Arbeit und Leben will all jenen Menschen einen Zugang zur politischen Bildung geben, die davon oftmals ausgeschlossen sind. Insbesondere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sie sollen ihre Stimme im demokratischen Diskurs erheben. Es ist daher kein Wunder, dass sich die AfD in ihren Programmen und Schriften stark gegen die Förderung politischer Bildung ausspricht.
Wir erleben, wie die Nationalradikalen das politische Klima, die Streitkultur in unserem Land vergif-ten. Was aber ist zu tun, wenn demokratische Prinzipien von einem wachsenden Teil der Gesell-schaft nicht mehr als Grundlage für ein Miteinander erkannt und akzeptiert werden? Was machen wir, wenn ein ziviler, demokratischer Diskurs ins Hintertreffen gerät und oftmals Hass und Fake-News die Debatten in den sozialen Medien prägen?

„Demokratie ist die einzige politisch verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss – immer wieder und bis ins hohe Alter hinein“, schrieb der Sozialphilosoph Oskar Negt. Eine Antwort: Wir brauchen mehr politische Bildung. Selbstverständlich muss man zunächst auf reale Verwerfun-gen in der Gesellschaft, auf vermeintliche und tatsächliche Missstände schauen, wenn man die Krise der politischen Repräsentanz bekämpfen will. Und selbstverständlich kann politische Bildung keine Kurzfrist-Maßnahme sein. Im Gegenteil: Politische Bildung ist vor allem dann erfolgreich, wenn sie kontinuierlich gefördert und umgesetzt wird. Nur so kann sie ihre wichtigste Aufgabe erfüllen: Das demokratische Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger zu stärken.

Politische Bildung zielt auch nicht auf träges Wissen, sondern auf Wissen und Kompetenzen, die sich in politische Mitsprache, in gesellschaftliche Partizipation und in betriebliche Mitbestimmung umsetzen lassen. Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demographie verändern das tägliche Leben und die Arbeitswelt in rasantem Tempo. Die Seminare bei Arbeit und Leben setzen genau da an. Sie geben den Betriebsrätinnen und Betriebsräten die richtigen Werkzeuge in die Hand, um die Veränderungen im Sinne der Beschäftigten gestalten zu können. Es ist unser Anspruch als DGB, dass unsere Mitglieder diesen Wandel aktiv gestalten und nicht passiv erleiden. Dabei leistet Arbeit und Leben seit 70 Jahren einen wichtigen Beitrag – und wird es auch noch viele weitere Jahrzehnte tun.