Im letzten Jahr durften wir einen großen Geburtstag feiern: 100 Jahre Volkshochschulen. Schon die Weimarer Republik hatte den Anspruch, allen Menschen eine Stimme zu geben und sie durch Bildung in öffentlicher Verantwortung dabei zu unterstützen, für ihre Interessen einzutreten. Mit ihrer Verfassung wurden die Volkshochschulen formell begründet. Zum Selbstverständnis der Volkshochschulen als „Töchter der Demokratie“ gehörte es bereits damals, abstrakte Bildungsbegriffe in die Lebenswirklichkeit der Bürger*innen zu übersetzen.
Auf die junge, fragile Demokratie der Weimarer Republik folgte der Nationalsozialismus mit dem zweiten Weltkrieg. Seine Auswirkungen waren ausschlaggebend für die Gründung von Arbeit und Leben NRW im Jahr 1949. Die Alliierten erkannten die Systemrelevanz des Erwachsenenbildungswesens und forderten im Sinne der Re-Education die Kommunen zur Wiedereinrichtung von Volkshochschulen auf. Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Volkshochschulen schlossen sich damals zu ihrer Bildungskooperation zusammen, um das Fundament für eine neue Demokratie zu stärken. Dazu brauchte es Menschen, die sich für Bildung und Demokratie einsetzten und das neue Zusammengehen konzeptionell und mit Leben erfüllten. Nach zwölf Jahren NS-Diktatur waren solche Persönlichkeiten deutlich in der Minderheit.
Der Ansatz des DGB und der VHS war deshalb so einfach wie einleuchtend: Die Volkshochschulen standen für den breiten Zugang zu Bildung und die Gewerkschaften für das Organisieren von Interessen der Arbeiter*innen. Gemeinsam wollten sie den Zugang zu Bildung im Sinne der Interessen von Arbeiter*innen organisieren und so die junge Demokratie in ihrer Entwicklung stärken. Seit dieser Zeit hat sich vieles verändert, aber der Gründungsgedanke von Arbeit und Leben NRW ist heute so aktuell wie damals.
Eine noch vor wenigen Jahren für unmöglich gehaltene Akzeptanz von rechtem, undemokratischem und rassistischem Gedankengut und daraus resultierenden mörderischen Anschlägen stellt unsere offene Gesellschaft vor eine Bewährungsprobe. Demokratie muss man lernen – und verteidigen. Damit kommt der Politischen Bildung nicht nur eine wichtige Rolle zu, sie ist im grundlegenden Sinne systemrelevant für unsere demokratische Verfasstheit. Sie öffnet Räume für Diskurs und zur Auseinandersetzung mit Gegenwart und Zukunft, kontrovers, aber innerhalb eines klaren Wertegerüsts.
Gewerkschaften und Volkshochschulen sind wichtige Akteure im gesellschaftlichen Diskurs und Politische Bildung hat dort ihren unverzichtbaren Stellenwert. Aber die Auswirkungen neoliberaler Paradigmen, Strukturänderungen und der zahlenmäßige Rückgang von Mitgliedern und Teilnehmenden stellen uns vor lokale, regionale und globale Herausforderungen.
Der hochaktuelle Auftrag von Arbeit und Leben NRW /DGB und VHS ist klar vor unserer gemeinsamen Geschichte zu sehen: gemeinsam Politische Bildung flächendeckend zu verankern und weiterzuentwickeln, um die Zukunft unserer Gesellschaft menschenwürdig und nachhaltig zu gestalten.