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Frei(willig)e Meinungsäußerung

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Alexander Oberdieck
Bildungsreferent
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Unter der Rubrik Frei(willig)e Meinungsäußerung melden sich die Freiwilligen bei Arbeit und Leben NRW zu den verschiedensten Themen zu Wort. Egal ob es um Geschehnisse der aktuellen Politik, die Aufbereitung eines historischen Ereignisses, oder auch einen generellen Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte geht, an erster Stelle steht hier der Anspruch auf sachliche Auseinandersetzung. Dabei kann und soll es natürlich auch zu Meinungsäußerungen kommen.

Worüber und in welcher Form die Freiwilligen ihre Beiträge verfassen entscheiden sie selbst. Das Gezeigte ist somit ganz ihr eigenes Werk und die hervorgebrachten Ansichten sollen nicht als offizielle Stellungnahme von Arbeit und Leben NRW aufgefasst werden. So haben die Freiwilligen die Möglichkeit sich in einem professionellen Umfeld mit den Themen auseinanderzusetzen die sie interessieren. Die Frei(willig)e Meinungsäußerung ist somit eine Art publizistische grüne Wiese, die unsere jungen Kolleg*innen nach ihren eigenen Wünschen nutzen und gestalten können.

Wir wollen hiermit die Sicht einer jungen Generation auf Themen erfahren, zu denen sie sonst nur selten zu Wort kommt. Für uns ist das ein wichtiger Aspekt von politischer Bildung und wir wollen den Freiwilligen so die Teilnahme am gesellschaftlichen Diskurs ermöglichen.

Beiträge 2020/2021

Wo sich Reichsbürger und Querdenker gute Nacht sagen

Der Name Michael Ballweg dürfte vielen Bundesbürger*innen unfreiwillig ein Begriff sein. Als Kopf der „Querdenken“-Bewegung macht er seit Sommer letzten Jahres auf sich Aufmerksam. Dass es sich bei den „Querdenkern“ um eine massiv heterogene Gruppe handelt, bei der von öko-esoterischen Hippies bis stramm Rechten alles dabei ist, ist inzwischen bekannt. „Querdenken“ versucht deshalb gerne sich als breites Bündnis verschiedener politischer Ausrichtungen darzustellen, betont jedoch stets die eigene verfassungstreue. Wem die Toleranz die „Querdenken“ und Ballweg Rechtspopulisten und Rechtsextremen zeigen nicht reicht, um daran Zweifel zu hegen, bei dem sollten spätesten die Alarmglocken schrillen, wenn sich Michael Ballweg mit lupenreinen Reichsbürgern und Staatsfeinden trifft. Denn mehr Verfassungsfeindlichkeit als das Ablehnen des Staates, um dessen Verfassung es geht, ist kaum möglich. Was aber war passiert?

Aufmerksam auf eine mögliche Verbindung zwischen „Querdenken“ und der Reichsbürgerbewegung wurde die Öffentlichkeit, nachdem Michael Ballweg und andere hochrangige „Querdenker“ letzten Herbst einer Einladung von Peter Fitzek nach Thüringen nachkamen. Wir erinnern uns: Peter Fitzek ist selbsternannter König von Deutschland und hat in seinem „Königreich Deutschland“ erschreckend ausgereifte Parallelstrukturen aufgebaut. Mit diesem Peter Fitzek soll sich also die Spitze der „Querdenken“ Bewegung getroffen haben. Nachdem darüber berichtet wurde, distanzierten sich einige „Querdenker“ von Fitzek, andere verteidigten ihn und seine Ansichten hingegen. Ballweg wich dem Thema meist aus.

Nun könnte man wohlwollend für Ballweg und seine „Querdenker“ argumentieren, sie hätten sich nur einmal mit Fitzek unterhalten wollen und seien danach von ihm abgerückt. Doch die Geschichte hört hier nicht auf.

Vor einigen Wochen gelang es einer Gruppe, die sich als Teil des Hackerkollektivs Anonymous bezeichnet, das ganze System des „Königreichs Deutschland“ zu infiltrieren, es lahmzulegen und eine riesige Menge Daten zu sichern. Dabei fanden sie unter anderem heraus, dass Michael Ballweg spätestens seit November 2020 Staatsbürger des „Königreich Deutschland“ ist. Hierbei unterscheidet das „Königreich Deutschland“ zwischen der öffentlichen Staatsangehörigkeit und der geheimen Staatszugehörigkeit. Auf Ballweg trifft Letzteres zu. Die Mails auf die das Hackerkollektiv zugreifen konnte, stellen vor allem den Schriftverkehr zwischen einzelnen Organisatoren des „Königreiches“ da. Hier fanden sie auch heraus, dass Ballweg ein Konto bei der „Gemeinwohlkasse“ des „Königreiches“ besitzt. Die gewaltige Summe die er dort angelegt hat beträgt 20 Euro.

Zu Ballwegs Verteidigung sei hier gesagt, dass die Staatszugehörigkeit auch temporär erklärt werden kann, erst die Staatsangehörigkeit macht einen grundsätzlich zu einem Bürger von Fitzeks „Königreich“. Die Staatszugehörigkeit wird allerdings auch per Urkunde dokumentiert, an Ballwegs Exemplar sind die Hacker ebenfalls gelangt. Durch die Staatszugehörigkeit bekundet Ballweg seine Sympathie und Unterstützung, ohne öffentlich als Teil von Fitzeks Netzwerk aufzutreten. Das ist für Letzteren sehr attraktiv, kann er so seinen Einfluss ausbauen, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Durch so ein „Einstiegsprogramm“ könnten außerdem Interessierte angelockt werden, die man dann enger an sich binden möchte.

Christa-Maria Ellenberger und Alexander Benecke sind ebenfalls Mitglieder des inneren Kreises von „Querdenken“. Auch sie sind Staatszugehörige des Königreiches Deutschland geworden und auch sie haben ein Konto in der „Gemeinwohlkasse“.

Anonymous fand noch viel mehr Mails und Dokumente, diese hier alle zu erläutern, würde den Rahmen sprengen. Ein Link zu den Veröffentlichungen ist für interessierte Leser*innen am Ende des Beitrags zu finden.

Bleibt abschließend zu fragen: Was sagen uns diese Entdeckungen über Michael Ballweg? Auch wenn er vielleicht noch kein richtiger Reichsbürger ist, so lehnt er deren Ideologie und Fanatismus nicht ab. Ganz im Gegenteil er ist bereit mit Reichsbürgern zu kooperieren. Was er sich davon verspricht bleibt sein Geheimnis, allerdings dürfte es seinem Anliegen in der Öffentlichkeit als verfassungstreu zu erscheinen nicht dienlich sein. Wenn auch bisher keine großflächige Ausbreitung der Reichsbürgerideologie auf „Querdenken“ bekannt ist, so ist dies aber auf jeden Fall eine Entwicklung die besorgt. Sollte Peter Fitzek es schaffen seinen Einfluss auf „Querdenken“ zu vergrößern, könnte das sein „Königreich“ deutlich stärken. Allein aufgrund der inneren Zerrissenheit von „Querdenken“ dürfte diese Gefahr allerdings vorher als gering eingeschätzt werden. Es ist nur zu hoffen, dass das so bleibt.

Hier geht es zu den gesammelten Entdeckungen von Anonymous.

Reichsbürger unter der Lupe - Das "Königreich Deutschland"

Wir schreiben das Jahr 2021. In der Bundesrepublik bereitet man sich, trotz Pandemie, auf ein Superwahljahr vor, neben dem Bundestag wird auch in mehreren Bundesländern gewählt. Doch was wenn all das gelogen ist? Wenn nicht etwa eine Pfarrerstochter Regierungschefin und ein Tischlersohn Staatsoberhaupt sind? Was wäre wenn diese beiden Ämter zusammen von König Peter I. Fitzek, genannt Menschensohn, ausgeübt würden?

Zu sagen, diese Fragen würden in breiteren Teilen der Gesellschaft tatsächlich kontrovers diskutiert, wäre gelogen. Wie schon im Text über Norbert Schittke und seine Gesell*innen erläutert, wird Deutschland erwiesenermaßen nach Recht und Gesetz von der Bundesregierung regiert, eine weitere Begründung dieser Tatsache spare ich mir hier also.

Wer ist aber dieser König Peter? Die Frage stellt sich schon, vor allem mit dem Wissen, dass er in Wittenberg über eigenen Grund herrscht(e), eine eigene Bank und Sozialstrukturen betreibt und sogar eine neue UNO gegründet hat. Fangen Wir von vorne an.

Peter Fitzek ist ursprünglich Koch, er besitzt zwischenzeitlich auch eine Videothek und geht verschiedenen beruflichen Tätigkeiten nach. 2012 gründet er, in Anwesenheit Dutzender Gefolgsleute, in Wittenberg das sog. „Königreich Deutschland“ und lässt sich selbst zum Obersten Souverän krönen. Die „Gründungsurkunde“ wird von ihm und sieben Getreuen unterzeichnet und ist auf der Website des Königreiches einsehbar. Erkennbar ist, dass im Urkundentext immer wieder Bezug auf Gott und die Schöpfung genommen wird. Fitzek sieht sich offensichtlich in der Tradition mittelalterlicher Monarchen, da auch sie ihre Herrschaft in Gott begründeten.

Des Weiteren wird in der Urkunde auch von den „deutschen Völkern“ gesprochen und nicht von dem „deutschen Volk“. Das mag marginal wirken, doch machen Peter Fitzek und seine Anhänger*innen auf diese Weise nichts Geringeres deutlich, als ihren Führungsanspruch über das deutschsprachige Mitteleuropa. Natürlich ist das insoweit hinfällig, als, dass sie nicht einmal ihren Führungsanspruch über Deutschland durchsetzen können. Jedoch zeigt sich hier der Wahnsinn des „Königreichs Deutschland“ in gefährlicher Art und Weise. Die Herrschaft über Mitteleuropa lässt sich friedlich nicht erreichen, warum also sollte davor zurückgeschreckt werden, andere Ziele mit Waffengewalt zu verfolgen?

Abseits großer Ziele hat sich im „Königreich Deutschland“ über die Jahre tatsächlich so etwas wie ein Staatswesen herausgebildet. So legen die Bürger*innen ihr Geld in der „Königlichen Reichsbank“ an, investieren in der „Gemeinwohlkasse“, sind versichert in der „Deutschen Heilfürsorge“, finanzieren sich im Alter durch die „Deutsche Rente“, oder shoppen online im „KaDaRi“ (Kauf das Richtige), einem Ebay-Abklatsch. Dort kann man tolle Dinge kaufen, wie etwa eine „drehbare Servierplatte aus Birkenholz“, oder aber auch „Heilung über die Ätherkörper-Matrix-Ebene“. Bezahlt wird mit „E-Mark“ die rein zufälligerweise 1:1 mit dem Euro im Kurs stehen. Die offizielle Währung im Königreich Deutschland sind die sogenannte „Engel“. Da diese aber selbstverständlich nirgendwo zugelassen ist, sind die Engelscheine gänzlich wertlos.

Auch wenn ein Großteil dieser Einrichtungen längst von verschiedensten Bundesaufischten aufgelöst und einkassiert wurde, zeigt sich bei Peter Fitzek eine deutlich „professionellere“ Herangehensweise, als noch bei Norbert Schittke. In der Theorie ist an Vieles gedacht. Es geht Fitzek deutlich weniger um die historische Rechtfertigung seines „Staates“, sondern mehr um eine Legitimation durch Funktionalität. Er nimmt dafür auch Geld in die Hand. Das „Königreich Deutschland“ druckt eigene Ausweise, sogar mit einem teuren Dokumente-Drucker. Auch eigene Nummernschilder werden herausgegeben. Fitzek hat verstanden, dass sich Anhänger*innen vor allem durch ein scheinbar funktionierendes System gewinnen lassen und weniger durch großspurige historische Argumentation.

Was aber unterscheidet das „Königreich Deutschland“ noch von der „Exilregierung Deutsches Reich“? Hier lohnt sich ein Blick auf die Außendarstellung beider „Staaten“. Ist es in der „Exilregierung“ vor allem die Auflistung von Dokumenten und Texten, welche die Existenz ihres „Staates“ rechtfertigen sollen, so sieht man auf der Seite des „Königreiches Deutschland“ vor allem einen: Peter Fitzek.

Zwar kommt man auch hier nicht gänzlich ohne die klassischen BRD-GMBH Verschwörungserzählungen aus, aber der Großteil der Texte und Paragraphen die man zitiert, sind aus der eigenen „Verfassung“. Das „Königreich Deutschland“ versucht gar nicht wirklich sich durch historische „Belege“ zu rechtfertigen, es tut dies vor allem durch die Person Peter Fitzek und seine Berufung durch Gott sowie den scheinbaren Erfolg.

Ab hier wird es gefährlich. Natürlich entsteht bei der „Exilregierung Deutsches Reich“ auch ein Gewaltpotential, alleine schon durch ihre fundamentale Ablehnung der BRD. Beim „Königreich Deutschland“ aber handelt es sich um nichts geringeres als einen Personenkult. Eine Entwicklung wie bei Norbert Schittke, wo sich die Gruppe auf einmal in zwei Teile teilt, weil der Anführer unangenehm wird, ist hier höchst unwahrscheinlich. Die Bürger des „Königreiches Deutschland“ sind ihrem „König“ absolut gehörig, das zeigt sich z.B. als bei einer Gerichtsverhandlung gegen Peter Fitzek eine Gruppe seiner Anhänger versucht, den Richter festzunehmen. Ein wenig erinnert das Ganze an die klassische Sekte, mit dem Guru Peter Fitzek als Oberhaupt.

Das Geschehen rund um das „Königreich Deutschland“ blieb natürlich nicht unbeachtet. Wegen illegaler Betreibung eines Bankgeschäftes ließ die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) das Gelände des „Königreichs“ in Wittenberg stürmen und das Bankgebäude zwangsräumen. Das Geld der Anleger*innen allerdings scheint zu großen Teilen anderswo versteckt. Peter Fitzek ging zwischenzeitlich in U-Haft, ist aktuell allerdings auf freiem Fuß.

Das „Königreich Deutschland“ ist inzwischen von Wittenberg ins knapp 200 Km entfernte Reinsdorf umgezogen. 2020 veranstalte man einen Tag der offenen Tür mit, laut eigenen Angaben, 150 Interessierten. Auf Corona Schutz wurde hier keinen Wert gelegt.

Was aber bleibt nach dieser Beobachtung übrig? Wichtig zu merken ist, dass Reichsbürger nicht gleich Reichsbürger sind. Handelt es sich bei der „Exilregierung Deutsches Reich“ um eine klitzekleine Gruppe Verwirrter, ist das „Königreich Deutschland“ eine, auf ihren (An-)Führer eingeschworene, Gruppe, die regelmäßig Kampfsporttraining nimmt und bereit ist für ihre „Vision“ zu kämpfen. Diese „Vision“ ist allerdings ohne Gewalt nicht umzusetzen. Man sollte auf jeden Fall schwer aufpassen, was sich in den nächsten Jahren für Entwicklungen abzeichnen. Um hier Helmut Schmidt zu bemühen: „Wer [solche] Visionen hat sollte zum Arzt gehen.“ Scheinbar funktionierende Strukturen darf die BRD gar nicht erst entstehen lassen. In dem Moment wo Peter Fitzek den Menschen ein „Angebot“ machen kann, wird es Menschen geben die ihm folgen. Wenn verhindert werden soll, dass solche Parallelgesellschaften entstehen, muss der Staat in Zukunft früher eingreifen, nicht erst wenn eine illegale Bank eröffnet wird. Die Gefahr die vom „Königreich Deutschland“ ausgeht darf nicht unterschätzt werden.

Reichsbürger unter der Lupe - Die "Exilregierung Deutsches Reich"

Am 08. Mai 2004 bildete sich die „legitime Regierung Deutschlands“. Das Bemerkenswerte daran? Der Vorgang ereignete sich mehr als ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl und die aktuelle Bundesregierung war zwar nicht unumstritten, aber repräsentierte nach wie vor eine Mehrheit im Bundestag. Doch der Bundestag und somit auch die anstehende Wahl, welche die Ära Schröder beenden sollte, repräsentieren allerdings so oder so nicht den Souverän, das Deutsche Volk. Das zumindest war die Auffassung der an diesem Tag gegründeten „Exilregierung Deutsches Reich“. Doch fangen wir vorne an.

 An diesem besagten 08. Mai, genau 59 Jahre nach der Kapitulation der Wehrmacht 1945, trafen sich in Hannover 26 Personen. Der Leiter der Versammlung, ein gewisser Norbert Schittke, stellte fest, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Reichsbevölkerung anwesend sei. Daraufhin beendete er die Sitzung. Kurz darauf eröffnete er sie wieder. Durch diesen Akt waren die Anwesenden, aus Sicht Schittkes, zu Repräsentanten des deutschen Volkes geworden. Sich selber lies Schittke daraufhin zum Reichskanzler einer Regierung aus gut einem Dutzend Ministern wählen.

Doch wer ist dieser Norbert Schittke? Geboren 1942, war Schittke vor seiner Wahl zum Reichskanzler vor allem Kommunalpolitiker für die Republikaner, die DVU und für das Zentrum. Man könnte vermuten die Rente war zu langweilig für den selbsternannten Adligen. Eine Aufzählung aller Titel die Schittke sich selber zuschreibt, würde hier den Rahmen sprengen. Über seine Bescheidenheit lässt allerdings viel verraten, dass er sich selbst als Erbe des britischen Throns sieht. Bis zu seinem Rauswurf 2012 war er klar das dominante Gesicht der Reichsbürgergruppe. Danach gründete er seine eigene Exilregierung, um die geht es aber hier nicht.

Was will nun aber die „Exilregierung Deutsches Reich“? Diese Frage könnte man sehr einfach beantworten: Sie will regieren! Aus ihrer Sicht sollten die Deutschen Grenzen von 1914 wiederhergestellt und der Versailler Vertrag nicht anerkannt werden. Damit knüpft sie an die Argumentation der Nazis an, die einen großen Teil ihrer Wählerschaft aus dem Hass auf diesen Friedensvertrag zogen. Recht amüsant ist hier der Fakt, dass Norbert Schittke stets betont, die letzte rechtmäßige Verfassung Deutschlands sei die Reichsverfassung von 1871, er selbst aber auf die Weimarer Reichsverfassung von 1919 vereidigt wurde.

In der Erzählung der Exilregierung ist Deutschland momentan im Krieg mit beinahe der ganzen Welt. Begründet wird dies durch die sog. „Feindstaatenklausel“, in der Charta der UN. Diese legt die Regierung so aus, dass Deutschland, beziehungsweise das Deutsche Reich, mit allen Ländern im Kriegszustand sein müsste, mit denen es keinen separaten „Friedensvertrag“ habe. Die Abkommen mit den Siegermächten nach 1945 und vor allem den „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ von 1990 erkennen sie nicht an. In diesem Vertrag verzichteten die ehemaligen Siegermächte auf alle Sonderrechte, die sie über die beiden deutschen Staaten noch ausübten und bekräftigten den bereits seit langem geltenden Frieden. Ein Argument vieler Reichsbürger ist hier, dass dieser Vertrag nicht den Titel „Friedensvertrag“ trägt und somit keiner sein kann. Juristisch erfüllt der „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ allerdings alle Kriterien. Diese Art der Argumentation, in der Fakten verdreht, vergessen und ausgelassen werden, wiederholt sich noch an anderen Stellen.

Selbstverständlich gibt es bei der „Exilregierung Deutsches Reich“ auch einiges zu Lachen. So führen die Staatsangehörigen natürlich keinen Personalausweis der BRD mit sich. Um sich auszuweisen tragen sie ihren „Personenausweis“. Aus ihrer Sicht sei die BRD nur eine Treuhandverwaltung der Westalliierten und die deutschen Staatsbürger, durch ihren Personalausweis gebrandmarkt, ihr Personal. Mit diesem sei es nebenbei auch möglich uns auf der ganzen Welt zielgenau zu Orten. Somit seien alle Fälle von vermissten Personen gestellt, da sie ja, solange mit Personalausweis versehen, zu orten seien. Auf die Ausführung technischer Details wird an dieser Stelle verzichtet, ein häufig wiederkehrendes Muster: Lieber stark behaupten als schwach begründen.

Ein weiterer Grund für die Charakterisierung der BRD als Firma ist für die Exilregierung die Tatsache, dass im Grundgesetz häufig Begriffe wie „Geschäftsordnung“, oder „Weiterführung der Geschäfte“ auftauchen. Dass diese Formulierungen nichts mit wirtschaftlichen Handlungen zu tun haben, kann und will man wohl nicht verstehen.

Diese Versuche die eigene Existenz zu legitimieren werden ergänzt durch viele weitere obskure Zitate, Gesetze und Gerichtsurteile. Jedes Einzelne hier aufzuzählen würde viel zu weit gehen, es fällt aber auf, dass sich die Exilregierung ziemlich oft auf Institutionen bezieht die sie selbst nicht anerkennt. So zitiert sie häufig Urteile des Bundesverfassungsgerichtes, obwohl dieses ja eine Instanz der Bundesrepublik ist.

 

Bisher klingt das eigentlich alles ganz harmlos. Ein paar Rentner wollen nochmal was bedeuten, deswegen schaffen sie sich eine alternative Realität, in der sie uneingeschränkte Autorität ausstrahlen können. Problematisch wird es, wenn dieses obskure Geschichtsbild mit einer revisionistischen und rassistischen Geisteshaltung gepaart wird. Dass man sich wünscht die Grenzen von 1914 wiederherzustellen und den Versailler Vertrag aufzukündigen, erwähnte ich ja bereits. Doch geht die Ideologie der Exilregierung noch viel weiter. So wünscht sich also Norbert Schittke, dass nur weiße Deutsche mit weißen Deutschen Kinder kriegen dürften. Alles andere sei „der Kulturtod eines jeden Landes“. Ergänzen tut er diese grundlegend rassistische These mit einer weiteren grundlegend rassistischen These. Laut ihm könnte ja anderenfalls „der N**** herkommen und sagen ‚ja ich bin auch Deutsch‘“.

Bei solchen Thesen hört der Spaß sehr schnell auf. Hier wird nämlich klar, dass es der Exilregierung nicht nur um ein romantisches Bild der Vergangenheit geht. Ihr Ziel ist eine homogene, weiße, „deutsche“ Gesellschaft. Dass sie versucht eine eigene Polizei zu etablieren kann Sorgen bereiten. Was wenn irgendwann diese Polizei zur Durchsetzung der „Gesellschaftsideale“ auch auf Waffengewalt zurückgreift? Das Radikalisierungspotential der Exilregierung mag gering wirken; was sollen so ein paar alte Herrschaften schon anrichten?

Der bayrische Verfassungsschutz warnt allerdings vor einigen Anwerbetreffen der Exilregierung, bei denen neue Mitglieder rekrutiert werden sollen. Da könnten auch gewaltbereite dabei sein, denen bisher die ideologische Grundlage fehlte. Von diesen Leuten ginge eine akute Gefahr aus. Solche Treffen führt die Exilregierung auch in anderen Teilen der Republik durch. In Brandenburg ist sie gut mit der rechtsextremen Szene, rund um die NPD, vernetzt. Auch wenn ihre Thesen krude und abwegig wirken, Dilettanten sind die Männer von der Exilregierung nicht.

 

Es bleibt also festzuhalten, dass die Thesen der Exilregierung keine reelle Grundlage haben. Bei ihren Begründungen reißen sie Texte aus dem Kontext, deuten Begrifflichkeiten einfach um, lassen wichtige Punkte schlicht weg, oder behaupten einfach irgendetwas. Diese grundlegende Realitätsverweigerung wird durch rassistische und revisionistische Ambitionen ergänzt. Hier entsteht eine höchst gefährliche Mischung. Die Exilregierung hat kein Staatsgebiet über das sie verfügt, oder eine Streitmacht die sie befehligt, aber bei dem Versuch an diesem Zustand etwas zu ändern würde sie an der Anwendung von Gewalt nicht vorbeikommen. Daher darf man die von ihr ausgehende Gefahr nicht unterschätzen. Aktuell aber ist die „Exilregierung Deutsches Reich“ vor allem ein extrem aus dem Ruder gelaufenes Exemplar einer fanatischen rechtsradikalen Splitterbewegung. Das darf sie gerne bleiben. So kann man wenigstens gut über sie lachen.

Reichsbürger vs. Selbstverwalter - wo ist der Unterschied?

In den nächsten Tagen und Wochen soll es bei Frei(willig)e Meinungsäußerung um Reichsbürger und Selbstverwalter gehen. Da vielen wahrscheinlich, wie mir selbst vor dieser Recherche auch, der Unterschied zwischen Reichsbürgern und Selbstverwaltern gar nicht bekannt war, beginne ich heute damit diesen Unterschied zu erläutern. Über die kommende Zeit werden dann die verschiedensten Reichsbürgergruppen vorgestellt, eingeordnet und argumentativ widerlegt. Die Reihe wird mit einem abschließenden Fazit zur deutschen Reichsbürgerszene enden.

Nun aber zum Thema. Vereinfacht ausgedrückt könnte man sagen: Alle Reichsbürger sind Selbstverwalter, aber nicht alle Selbstverwalter sind Reichsbürger. Das ist zwar formal korrekt, aber zu kurz gegriffen. Das Konzept der Selbstverwaltung ist erstmal ein unpolitisches. Menschen sagen sich aus den verschiedensten Gründen vom Staat los und verwalten sich von nun an selbst. So einfach so harmlos. Hier kann der Weg allerdings auch schnell zur Straffälligkeit führen, vor Allem wenn man Leistungen des Staates zwar noch in Anspruch nimmt, seinen bürgerlichen Pflichten aber nicht mehr nachkommt, Stichwort Steuern. Diese Lebensform kann Teil einer linken, rechten, mittigen, oder gänzlich unpolitischen Einstellung sein[1]. Von diesen Selbstverwaltern gibt es in Deutschland ungefähr 19.000, 74% sind männlichen Geschlechts[2].

Während zwar auch einige Selbstverwalter ihren „Austritt“ aus der BRD mit UN-Resolutionen, oder anderen Gesetzestexten begründen, bedienen sich Reichsbürger alle einem sehr ähnlichen Argumentationsmuster. Für die Szene der Reichsbürger, die freilich untereinander sehr zerstritten ist, hat das Deutsche Reich, ob in seiner Form von 1918 oder aber in der des Reiches von Adolf Hitler, nie aufgehört zu existieren. In dem Weltbild der Reichsbürger ist die Bundesrepublik Deutschland lediglich eine von den Besatzungsmächten eingesetzte „Firma“, deren Auftrag es ist die Gebiete des Deutschen Reiches zu verwalten[3]. Hierfür bringen sie verschiedene Indizien an, mehr dazu in den Texten zu den einzelnen Reichsbürgergruppierungen. So viel vorweg: kein einziges dieser Argumente ist wasserdicht.

Von den knapp 19.000 Selbstverwaltern fallen ungefähr 950 in den Bereich der Reichsbürger. Diese werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft[4]. Es ist also zu erkennen, dass die rechtsextreme Szene im Bereich der Selbstverwalter zwar aktiv ist, aber nur einen vergleichsweise kleinen Anteil stellt.

Festzustellen ist, dass das ganze Spektrum Selbstverwalter und Reichsbürger sehr zersplittert ist. Es ist nicht möglich von „den Selbstverwaltern“ und „den Reichsbürgern“ zu sprechen, da sie zwar alle irgendwo ihre Argumentation teilen, aber sich auf verschiedenste Quellen beziehen und unterschiedliche Ziele verfolgen. Wichtig ist, dass sich Reichsbürger stets auf die Fortexistenz eines, wie auch immer gearteten, Deutschen Reiches beziehen. Welche Quellen und Ziele das sind, werde ich in den nächsten Ausgaben der Frei(willig)en Meinungsäußerung versuchen zu erläutern.


[1] Quelle: www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-reichsbuerger-und-selbstverwalter/was-sind-reichsbuerger-und-selbstverwalter

[2] Quelle: www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-reichsbuerger-und-selbstverwalter/zahlen-und-fakten-reichsbuerger-und-selbstverwalter/reichsbuerger-und-selbstverwalter-personenpotenzial-2019

[3] Quelle: www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-reichsbuerger-und-selbstverwalter/was-sind-reichsbuerger-und-selbstverwalter

[4] Quelle: www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-reichsbuerger-und-selbstverwalter/zahlen-und-fakten-reichsbuerger-und-selbstverwalter/reichsbuerger-und-selbstverwalter-personenpotenzial-2019

Kalender der Arbeiter*innen: 01. Oktober 1876 - Der erste "Vorwärts" erscheint

Die Lebensrealität von Arbeiter*innen und Arbeitnehmer*innen war eine recht lange Zeit der breiten Öffentlichkeit gar nicht bewusst. Natürlich interessierte es auch viele Bürgerliche nicht wie es den Arbeiter*innen so erging, doch gab es auch lange keine Anlaufstelle für proletarische Publikationen. Das sollte sich 1876 allerdings ändern.

Als sich 1875 in Gotha die beiden bis dato größten sozialistischen Parteien Deutschlands, der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) und die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP; ab 1890 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)) zusammenschließen besitzen beide Parteien eine eigene Parteizeitung.

Auf Seiten des ADAV stand der „Neue Sozialdemokrat“ und auf Seiten der SDAP stand der „Volksstaat“. Man entschied sich die beiden Zeitungen zusammenzulegen. Wilhelm Hasenclever und Wilhelm Liebknecht wurden zu den beiden Chefredakteuren. Die neue Zeitung nannte sich Vorwärts und sollte dreimal die Woche erscheinen. Als Untertitel gab man sich das „Centralorgan der Sozialdemokratie Deutschlands“[1].

Obwohl der „Vorwärts“ nur knapp zwei Jahre nach Erstveröffentlichung im Zuge der Sozialistengesetze Bismarcks verboten wurde, konnte er sich nach deren Aufhebung als das Leitmedium sozialdemokratischer und sozialistischer Politik etablieren. Während der Zeit des Verbots veröffentlichte man in Zürich den „der Sozialdemokrat“[2].

 

Heute gibt es eine Vielzahl Zeitungen, die einen Blick auf die Verhältnisse von Arbeitnehmer*innen werfen. Der „Vorwärts“ als offizielle Parteizeitung der SPD ist nur eine von ihnen. Weitere wären der „einblick“ vom Deutschen Gewerkschaftsbund, „Recht So!“ vom DGB Rechtsschutz, die Wochenzeitung „der Freitag“, die Tageszeitung „TAZ“, die „Blätter für deutsche und internationale Politik“, oder auch „Mitbestimmung“ der Hans-Böckler-Stiftung[3].

All diese Zeitungen und Publikationen behandeln klassische Themen der ehemaligen Arbeiter*innen und heutigen Arbeitnehmer*innen. Natürlich werden sie durch viele weitere ergänzt, deren Aufzählung hier aber keinen Platz hätte.

Über Veröffentlichungen haben sich Arbeiter*innen und Arbeitnehmer*innen seit jeher vernetzt. Viele Optimierungen der Lage dieser Menschen sind durch Aufmerksamkeit in der Presse und Öffentlichkeitsarbeit entstanden. Auch heute arbeiten viele Journalist*innen, Redakteur*innen und Betroffene daran, in Veröffentlichungen wie Diesen, Anerkennung für die hart arbeitenden Teile in unserer Gesellschaft zu erringen.

Den Grundstein für all diese Arbeit legte einst der „Vorwärts“. Er wird heute 144 Jahre alt.


[1] Quelle: www.karl-may-wiki.de/index.php/Vorw%C3%A4rts

[2] Quelle: www.vorwaerts.de/artikel/1-oktober-1876-zwei-zeitungen-vorwaerts-wurde

[3] Quelle: die-linke-koeln.de/linke-medien/