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Geschäftsbericht 2023

Alexander Oberdieck
Bildungsreferent
Email: oberdieck@arbeitundleben.nrw
Telefon: 0211 - 938 00 21
Mobil: 0171-558 9001
Fax: 0211 - 938 00 29

Stefan Fischer-Fels ist Künstlerischer Leiter des Jungen Schauspiels Düsseldorf.

Der Geschäftsbericht 2023 bietet wie gewohnt einen Überblick aller Aktivitäten von Arbeit und Leben NRW.

Kulturelle und Politische Bildung haben vielfältige Schnittstellen, sie ergänzen sich und gehen teilweise fließend ineinander über. Arbeit und Leben NRW nutzt und fördert dieses Zusammenspiel in zahlreichen Bildungsangeboten und Projekten auf unterschiedlichste Weise. Der Themenschwerpunkt im Geschäftsbericht 2023 beleuchtet diese diversen Aktivitäten.

,,Kulturelle Bildung schafft den Zugang zu Herz und Verstand gleichermaßen''

 

Wenn man sich zu dem Begriff ‚Kulturelle Bildung‘ informiert, finden sich dazu zahlreiche unterschiedliche Definitionen und theoretische Herleitungen. Was verstehen Sie im Düsseldorfer Schauspielhaus ganz persönlich und praktisch unter Kultureller Bildung?

 

Kulturelle Bildung ist für uns die Teilhabe von Kindern und Jugendlichen an unseren Angeboten. Da ist erstens unser Spielplan: Wir bieten über das gesamte Jahr professionelle Theateraufführungen für alle Altersgruppen von 2 Jahren bis 18 Jahren an, für alle Kitas und Schulformen, sowie an Wochenenden nachmittags für Familien und abends für ein junges, generationsübergreifendes Publikum. Im Jungen Schauspiel, das ich leite, spielen erstklassige, an den besten Schulen des deutschsprachigen Raums ausgebildete Schauspieler:innen für ihr junges Publikum. Wir haben ein Ensemble von acht Spieler:innen am Jungen Schauspiel. Es gibt eine dreiköpfige theaterpädagogische Abteilung unter dem Dach des Jungen Schauspiels, die zahllose Schulkontakte pflegen und immer wieder Feedbacks einholen, die wir in unsere Programmüberlegungen miteinbeziehen.

Hinzu kommen Möglichkeiten, selbst auf der Bühne aktiv zu werden. Hier bieten wir Clubs an. Das Stadt:Kollektiv macht mit Laien als „Expert:innen“ ihrer Themen Inszenierungen unter professionellen Bedingungen.

 

Bei Kultureller Bildung handelt es sich um eine sehr heterogene „Disziplin“. Was macht für Sie den gemeinsamen Wesenskern aus?

 

Für uns ist der Wesenskern der kulturellen Bildung mit der Form Theater verbunden. Wir erzählen eine Geschichte. Wir laden zur Identifikation ein, zu Empathie, zum Mit- und Weiterdenken. Wir bieten nicht immer Lösungen, aber meistens einen Hoffnungsschimmer am Horizont.

 

Wie eignen sich Prozesse Kultureller Bildung, um politische Sachverhalte zu verhandeln?

 

Die oben erwähnte Geschichte hat meist einen politischen Kern. Die Figur „Lucie“ in unserem Stück „Spielverderber“ erlebt Übergriffe durch ihren Trainer. Im Einzelschicksal, das wir auf der Bühne erzählen, wird ein gesellschaftliches Thema sozusagen ins Scheinwerferlicht gezerrt und verhandelt. Immer mit den Mitteln des Theaters – mit Humor, Choreografien, Musik etc – und meist ohne pädagogischen Zeigefinger von oben herab. Uns geht es immer um die Perspektive der Kinder. Kulturelle Bildung schafft den Zugang zu Herz und Verstand gleichermaßen. Da ist sie der „klassischen“ politischen Bildung haushoch überlegen.

 

Die Adressat*innen von Kultureller Bildung sind sehr vielfältig. Haben Sie so etwas wie eine „Lieblings-Zielgruppe“ mit der Sie die Arbeit als besonders bereichernd oder wirksam empfinden?

 

Da kein Kind als Rassist:in geboren wird, ist es sinnvoll und macht Spaß, früh anzufangen. „Der kleine Angsthase“ war ein sehr lustiges Stück für Menschen ab 4, in dem es im Kern um Rassismus und den Mut zum Widerstand ging. Mir persönlich machen die Stücke für die 10-Jährigen besonders Spaß, weil sich hier Kindlichkeit mit dem Entdecken der Welt (mit ihren Wundern und Schrecken) wunderbar verbinden.

 

Politische und Kulturelle Bildung überschneiden sich mindestens teilweise und manchmal gibt es auch fließende Übergänge. Wie können sich die klassisch als Politische und Kulturelle Bildung beschriebenen Arbeitsfelder idealerweise ergänzen?

 

Auf einer Tagung im Düsseldorfer Schauspielhaus in Kooperation mit dem Kulturministerium und der Landeszentrale politische Bildung haben wir dieses Verhältnis eingehend untersucht. Für mich ist herausgekommen, dass beide Bereiche sich gegenseitig ernst- und wahrnehmen müssen und gerade in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen idealerweise zusammenarbeiten können, weil, wie Schiller in den ästhetischen Briefen sagt, „der Weg zum Kopf durch das Herz muss geöffnet werden.“ Hier gibt es ja auch schon eine Menge Projekte, die in diese Richtung gehen. Aber in großem Stil findet das noch nicht statt. Für politische Theaterstücke könnten aber auch neue Fördermöglichkeiten entstehen, wenn sich die politische Bildung weiter gegenüber den Künsten öffnet.

 

Künstlerische Ausdrucksformen können Barrieren überwinden und leben vom auch vom Perspektivwechsel. Wie bedingen und fördern sich Kulturelle Bildung und Internationalität in diesem Kontext gegenseitig?

 

Am Jungen Schauspiel gibt es viel Austausch mit Künstler:innen aus verschiedenen Kontinenten, aus Ländern wie Nigeria, Indien, Japan, Schweden, Belgien, Holland. Außerdem ist das Junge Schauspiel auch Mitglied in der Assitej, der internationalen Vereinigung der Kinder- und Jugendtheater weltweit, die in Artistic Gatherings und World Congresses jedes Jahr zusammenkommt und Impulse gibt. Der Blick über den Tellerrand ist unendlich viel wert. Der eurozentristische Blick ist, auch aus historischen Gründen, zu Recht in die Kritik geraten. Wir spielen Theater für die Düsseldorfer. Aber in Düsseldorf versammeln sich Kulturen aus aller Welt. Das können wir auf der Bühne nicht ignorieren. Der Ansatz „Diversitätsentwicklung“ in Personal, Programm und Publikum hat bei uns hohe Priorität.

 

Der Kulturbetrieb befindet sich häufig in einem Spannungsfeld zwischen Avantgarde und Prekarität. Wie nehmen Sie die aktuellen Rahmenbedingungen für die Kulturelle Bildung wahr?

 

Wir machen unser Theater ästhetisch anspruchsvoll und niedrigschwellig zugleich. Das ist jedes Mal ein Balanceakt. Aber wir wollen verstanden werden und die Herzen berühren, egal, ob eine Hauptschulklasse drinsitzt oder ein Elitegymnasium. Jedes Stück bei uns hat mehrere Bedeutungs- und Komplexitätsebenen. Auch erfahrene Theatergänger haben so ihren Spaß und vergessen gern, dass sie in einem Kinderstück sitzen.

 

Wo liegen in der nächsten Zeit Ihre Arbeitsschwerpunkte im Bereich Kultureller Bildung?

 

Die nächsten beiden Stücke heißen „DAS POMMES-PARADIES“ und „SPIELVERDERBER“. In dem einen Stück beleuchten wir den Skandal von Kinderarmut in einer reichen Stadt, in dem anderen blicken wir auf Machtmissbrauch und Übergriffe von Erwachsenen gegenüber Kindern im Sport. Wir finden, es ist an der Zeit, mit Theater stärker in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen, die demokratische Gesellschaft aktiv mitzugestalten. „Theater for social change“ heißt es im angelsächsischen Raum. Wir treten für eine vielfältige, offene und tolerante Gesellschaft ein.

 

Mindestens institutionell lässt sich zwischen Politischer und Kultureller Bildung unterscheiden. Wie sehen sie die Zusammenarbeit zwischen Akteur*innen bisher und was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?

 

Wenn wir Theater und politische Bildung als aktive Gestalter von sozialem Wandel in einer demokratischen Gesellschaft verstehen und auch so wahrgenommen werden, ergeben sich die kreativen Zusammenarbeiten von selbst. Verantwortliche von Schule, Jugend, Familie, Gesundheit, Kultur u.a. können und dürfen stärker zusammenarbeiten. Wir müssen den Stein nur noch stärker ins Rollen bringen. Das Bewusstsein schaffen, welche große Kraft die Künste haben, um Kopf und Herz schon bei jungen Menschen zu erreichen. Nicht umsonst werden die Künste zuallererst beschnitten in autoritären Regierungen.