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Selbstdenken in der offenen Gesellschaft

Kontakt

Gabriela Schmitt
Bildungsreferentin
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Maximilian Hanka
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Patrick Varney
Bildungsreferent
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Was kann Kant zur politischen Bildung beitragen?

Unser Innovationsprojekt Selbstdenken in der offenen Gesellschaft entwickelt bis zum Jahresende 2025 einen Methodenkoffer mit Formaten, Hilfsmitteln und Hintergrundinformationen für den Einsatz in der Jugend- und Erwachsenenbildung. Unsere Zielgruppe sind vor allem Bildner*innen in Volkshochschulen und (Berufs-)Schulen, die den Methodenkoffer in Zukunft mit Gewinn nutzen können. Thematisch geht es uns um das Problem des „Selbstdenkens“ und dessen individueller wie gesellschaftlicher Relevanz.

Aussagen wie diese sind zunehmend populär:

„Du glaubst auch unkritisch alles, was man Dir sagt!“

„Informier Dich mal selbstständig!“

„Ich glaube ja nicht mehr, was die Mainstream-Medien sagen, sondern informiere mich alternativ.“

„Das ist halt meine Meinung, die mir keiner absprechen kann und die ich auch nicht rechtfertigen muss.“

„Was zählt, sind nicht Deine Bücher und Medien, sondern einzig die Schule des Lebens! Also ich hab ja die Erfahrung gemacht, dass …“

„Die Leute denken ja gar nicht selbst nach, sondern laufen nur den Populisten hinterher.“

„Ich glaube keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe.“

„Schlafschaf!“

Was diese Aussagen gemeinsam haben ist, dass sie anderen Menschen „Selbstdenken“ absprechen und dies zugleich typischerweise für sich selbst reklamieren: Es sind stets „die Anderen“, die „unkritisch“ sind. Es ist leicht zu sehen, dass dieses Motiv mit zunehmender Popularität gefährlich für unser demokratisches Zusammenleben ist, denn es setzt in der Praxis die Parteinahme über den Austausch von Argumenten, verhindert Diskurse und vertieft gesellschaftliche Gräben.

Dabei ist zugleich meist völlig unklar, was es bedeuten soll, dass jemand nun angeblich „kritisch“ oder „unkritisch“ ist und „Selbstdenken“ praktiziert, oder eben nicht.

Unser Projekt

Unser Projekt „Selbstdenken in der offenen Gesellschaft“ im Rahmen des NRW Innovationsfonds nähert sich dieser Herausforderung durch einen Rückgriff auf Immanuel Kant, der sich bereits 1784 in seinem berühmten Essay Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? mit der Frage auseinandersetzte, was sinnvollerweise unter „Selbstdenken“ verstanden werden kann. Und obwohl Kant unsere aktuelle Debatte – über die Vertrauenswürdigkeit von Quellen, Social Media, Fake News, Medienkritik, Desinformationen, Wissenschaftsskepsis, Verschwörungstheorien und gesellschaftliche Spaltung – nicht kennen konnte, liefert er fruchtbare Impulse dazu, wie wir auch heute die Forderung nach „Selbstdenken“ konstruktiv verstehen können.

Hier setzt unser Projekt an: Ausgehend von der Überzeugung, dass es sowohl sinnvolle als auch problematische Forderungen nach „Selbstdenken“ gibt, entwickeln wir Formate und Formatfragmente unterschiedlichen Umfangs, die in der etablierten Jugend- und Erwachsenenbildung eingesetzt werden können, um zu aktuellen Auseinandersetzungen über „Selbstdenken“ und „kritisch sein“ vs. „unkritisch sein“ sensibilisieren, um in diesem Rahmen sinnvolle von problematischen Forderungen zu trennen, Letztere mit nachvollziehbaren Argumenten zurückweisen zu können und die Relevanz solcher Auseinandersetzungen für unser demokratisches Zusammenleben zu verstehen.

Jeder Mensch will „kritisch“ – und nicht „unkritisch“ – sein und für sich reklamieren, „selbst“ zu denken – statt blind bestimmten Narrativen, Quellen oder Personen zu folgen.

Unser Produkt

Das Besondere am Projekt ist die interdisziplinäre Aufbereitung des Themas „Selbstdenken“ aus philosophischer, mediendidaktischer und pädagogischer Sicht. Das Projekt fördert den reflektierten Umgang mit aktuellen Diskursen, stärkt den Dialog und die aktive Beteiligung an der offenen Gesellschaft.

Wir kooperieren mit Volkshochschulen und Berufsschulen, um zum Jahresende 2025 einen Werkzeugkasten fertig zu stellen, der sowohl frei digital erhältlich als auch bei uns ausleihbar sein wird. Dieser Werkzeugkasten wird zielgruppengerechte Bildungs- und Diskussionsformate beinhalten, sowie alle Hilfsmittel und Methoden, die zur Nutzung dieser Formate in der Jugend- und Erwachsenenbildung nötig sind. Das Ziel dieser Formate ist dementsprechend die Vermittlung von Kriterien, Hilfsmitteln und Anregungen, um die erwähnten Diskurse und Motive sowie eigene Positionierungen hierzu mündiger einschätzen zu können.

Bei der Erarbeitung unseres Werkzeugkastens setzen wir auf die konstruktive Zusammenarbeit mit Expert*innen aus der Jugend- und Erwachsenenbildung: Falls Sie Interesse an unserem Produkt haben, würden wir uns freuen. Und falls Sie an dem Entstehungsprozess unserer im Werkzeugkasten versammelten Formate mitwirken wollen – umso besser! Wir freuen uns über jede Kontaktaufnahme.

Anknüpfungspunkt Kant

Das Projekt Selbstdenken in der offenen Gesellschaft: Was kann Kant zur politischen Bildung beitragen knüpft zentral an Kants berühmte Forderung zum Selbstdenken an, die vor allem in seiner Schrift „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung“ von 1784 formuliert wurde:

"Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung."

Zum Volltext im Projekt Gutenberg: https://www.projekt-gutenberg.org/kant/aufklae/aufkl001.html

Eine weitere hilfreiche Formulierung dieser Forderung findet sich in der letzten Fußnote von Kants Beitrag „Was heißt: sich im Denken orientieren?“ von 1786:

"Selbstdenken heißt: den obersten Probierstein der Wahrheit in sich selbst (d. i. in seiner eigenen Vernunft) suchen, und die Maxime, jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung. Dazu gehört nun eben so viel nicht, als sich diejenigen einbilden, welche die Aufklärung in Kenntnisse setzen; da sie vielmehr ein negativer Grundsatz im Gebrauche seines Erkenntnisvermögens ist und öfter der, so an Kenntnissen überaus reich ist, im Gebrauche derselben am wenigsten aufgeklärt ist. Sich seiner eigenen Vernunft bedienen, will nichts weiter sagen, als bei allem dem, was man annehmen soll, sich selbst fragen, ob man es wohl tunlich finde, den Grund, warum man etwas annimmt, oder auch die Regel, die aus dem, was man annimmt, folgt, zum allgemeinen Grundsatze seines Vernunftgebrauches zu machen.  Diese Probe kann ein jeder mit sich selbst anstellen; und er wird Aberglauben und Schwärmerei bei dieser Prüfung alsbald verschwinden sehen, wenn er gleich bei weitem die Kenntnisse nicht hat, beide aus objektiven Gründen zu widerlegen. Denn er bedient sich bloß der Maxime der Selbsterhaltung der Vernunft. Aufklärung in einzelnen Subjekten durch Erziehung zu gründen, ist also gar leicht; man muß nur früh anfangen, die jungen Köpfe zu dieser Reflexion zu gewöhnen. Ein Zeitalter aber aufzuklären, ist sehr langwierig; denn es finden sich viel äußere Hindernisse, welche jene Erziehungsart teils verbieten, teils erschweren."

Zum Volltext im Projekt Gutenberg: www.gutenberg.org/files/38754/38754-h/38754-h.htm

Kontextualisierung Kant

Uns ist bewusst, dass von Immanuel Kant auch problematische und moralisch fragwürdige Aussagen stammen, die in den letzten Jahren kritisch diskutiert wurden und mit seiner Person assoziiert werden. Hierzu zählen vor allem seine Bemerkungen über Menschen aus Afrika und Asien, die heutzutage als rassistisch gelten müssen. Zugleich sind diese Themen in Kants Werk ambivalent und in Entwicklung begriffen. In unserem Projekt konzentrieren wir uns indessen nicht auf die Person Immanuel Kant und auch nicht auf sein gesamtes Werk, sondern allein auf seine Selbstdenken-Forderung. Da wir uns indessen der erwähnten Schwierigkeiten in der Auseinandersetzung mit Kant bewusst sind, möchten wir an dieser Stelle auf zwei informative Seiten verweisen:

www.deutschlandfunk.de/wissenschaftsgeschichte-war-philosoph-immanuel-kant-ein-100.html

www.bbaw.de/mediathek/archiv-2020/kant-ein-rassist-interdisziplinaere-diskussionsreihe

Das Projekt „Selbstdenken in der offenen Gesellschaft“ wird vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen im Rahmen des NRW-Innovationsfonds gefördert.